Fotos: Ann-Christine Krings
Sagt Carlo von Tiedemann. Mit dem 76-jährigen NDR-Kultmoderator habe ich mich im Café Funk-Eck vis-à-vis des Senders an der Hamburger Rothenbaumchaussee getroffen. Im diesem ersten Teil unseres Interviews geht’s um Ehrenamt und Eitelkeiten, um Klammern und Koteletten und göttliche Zwiegespräche in der Natur.
Carlo von Tiedemann, wenn Sie an den NDR denken, dann denken Sie an...?
... 47 verrückte herrliche Jahre. Achtung, die Plattitüde lässt grüßen: Ich bereue nicht einen einzigen Tag. Ich habe in diesen 47 Jahren nur Glück gehabt und Fröhlichkeit erlebt. Es gibt ja auch eine Akte über Carlo. Es gab auch ernstere Zeiten. In diesen Zeiten hat der NDR unfassbar zu mir gehalten. Ich habe wirklich das Glück, sagen zu können: Ich habe einen Traumberuf. Und lebe diesen Traum jeden Tag. Ich bin dem lieben Gott so dankbar, weil ich so schweineglücklich bin in diesem Laden.
Sie moderieren regelmäßig bei NDR 90,3 Hamburg am Mittag. Da ist jede Menge Musik drin. Gibt es einen Sänger, den Sie immer noch verehren?
Wie viele Kerle in meinem Alter, die in den wilden Sechzigern oder Siebzigern Gas gegeben haben, Elvis! Hallo! Elvis! Es gibt nichts über Elvis.
Steckt in Ihnen auch so ein wenig Elvis?
Ich bin Rocker - ohne Ende. Ein widerlicher Rocker. Ich wollte immer Elvis-Koteletten.
Ach?
Aber mit den Koteletten - ich lüfte jetzt ein Geheimnis - das klappte nicht so richtig. Ich hatte keinen Kotelettenwuchs und habe sehr darunter gelitten (lacht).
Gab’s noch weitere Highlights in den 47 Jahren?
Haben Sie 17 Stunden Zeit (lacht)? Ich hab’ nur Highlights erlebt. Nein, ich überlege gerade. Das ist einfach zu viel. Allein durch die Schaubude, die ich fast 20 Jahre moderiert habe, und in denen wir wirklich fast alle großen Künstler dieser Welt hatten. Ich greife jetzt gerade mal Neil Diamond heraus, weil wir heute in der Sendung einen Song von ihm als vorletzten Titel gespielt haben. Neil Diamond mochte mich. Wir haben uns am Abend vor der Schaubude kennengelernt und da hat er zu mir gesagt: ‚Wenn du mich im Schach schlägst, singe ich zwei Titel bei euch.’ Er galt als sehr guter Schachspieler. Ich war auch ein leidlicher. Hatte Glück und ihn geschlagen. Und dann hat er zwei Songs gesungen.
Oder Gert Fröbe, einer der größten deutschen Schauspieler für mich. Der war in Pommern geboren, wenige Dörfer entfernt von mir. Ich bin ja gebürtiger Stargarder. Dadurch kamen wir ins Klönen. Dann hat er meine damalige Freundin und mich eingeladen ins Vier Jahreszeiten. Dort haben wir bis morgens um drei gesessen. Ein unfassbar sympathischer Mensch. Der wollte nicht in die Maske. Wir Moderatoren mussten ja wie heute immer noch vorher in die Maske, schön Haare fönen etc.. Gert Fröbe saß da, rotgesichtig mit Akne im Gesicht und sagte: ‚Ich möchte gern, dass die Zuschauer mich so sehen, wie ich bin. Ich habe gerade einen Schnupfen und ich sehe nicht gut aus. Aber lass sie mich mal so sehen wie ich bin.’ Das fand ich toll.
Wie eitel sind Sie denn?
Mit zunehmendem Alter werde ich jetzt ein wenig eitler. Das gebe ich zu.
Woran merkt man das?
Wenn man sich im Spiegel sieht und sagt: Alter, Donnerwetter, du bist jetzt 76 und hast nichts ausgelassen. Hallo, ich habe nie Kraftsport betrieben, und es ist klar: Wenn man einen 76-Jährigen nackig sieht, das ist kein athletischer Anblick mehr. Ich bin sehr zufrieden, denn ich behaupte einfach, dass die Fröhlichkeit und auch das Glück eines Menschen von innen kommen. Ich bin glücklich. Und weiß, dass ich jedes Hindernis in meinem Leben wegschieben kann. Ich bin ein Kämpfer. Habe mehrere lebensbedrohende Operationen, meine Drogen-, Alkohol- und Spielsucht bekämpft. Ich habe alles geschafft. Was will mir noch passieren?
Sie sind seit vielen ehrenamtlicher Schirmherr der Obdachloseneinrichtung TAS in Norderstedt. Wir haben uns dort auf der vergangenen Weihnachtsfeier kennengelernt, und ich habe gespürt: Die Menschen lieben Sie.
Ich kann so gut mit diesen Leuten, denn sie akzeptieren mich, weil ich mit Fug und recht behaupten kann: Ich war auch mal ganz unten, habe zwar nicht auf der Straße geschlafen, war aber auch ohne Hoffnung.
Hat der Glaube Ihnen geholfen?
Sehr. Ohne den lieben Gott würde ich gar nicht hier sitzen. Der hat mir ziemlich oft das Leben gerettet. Als ich 1992 diesen lebensbedrohenden Knochentumor hatte, betete ich zum lieben Gott, obwohl er mir ganz viel genommen hatte. Die Verbindung zwischen mir und dem lieben Gott war mir immer wichtig. Ich rede jeden Abend mit ihm. Ich gehe gern allein in der Natur spazieren. Auf allen Spaziergängen halte ich Zwiesprache mit dem Boss da oben: „Ich muss mal überlegen, was soll ich jetzt machen: Kannst du mir helfen?“ Und er gibt mir eine Anleitung, in welche Richtung ich gehen soll. Ich lebe den Glauben.
Dazu gibt es eine Anekdote, die ich immer gern erzähle. Der NDR hatte vor Jahren mal eine Fernsehsendung, in der es um Gott ging. Ich tauchte am Set auf und alle Kollegen fragten: ‚Was machst du denn hier?’ Ich sagte: ‚Alter, ich rede jetzt über Gott’. ‚Carlo, hör’ auf.’ Das traute man mir gar nicht zu. Weil ich sonst einen etwas anderen Lebensstil gepflegt habe. Gott ist für mich die Stütze. Meine damaligen Süchte hätte ich ohne die Hilfe des lieben Gotts gar nicht überwunden.
Was bedeutet Glück für Sie?
Dass ich von mir aus behaupten kann, ein angstfreier Mensch zu sein. Das ist, glaube ich, eine besondere Form des Glücks. Wenn die nächste graue oder schwarze Wolke kommen sollte, was ich nicht hoffe, ich schiebe sie beiseite. Das weiß ich.
Wie gehen Sie damit um, seit vielen Jahrzehnten eine öffentliche Person zu sein?
Ich zitiere immer wieder gern diesen Spruch für die Ewigkeit, den Rudi Carrell geprägt hat: „In diesem Beruf gibst du dein Privatleben an der Kasse der Öffentlichkeit ab.“ Du hast keines mehr. Und wer das nicht begreift. Wir Fernsehfuzzis haben kein Recht mehr auf Privatleben. Du gehörst der Öffentlichkeit. Ist doch toll! Besser als wenn sie sagen würden: Was ist das denn für’n Arsch?
Was sagt Ihre Frau denn dazu?
Die findet das toll. Julias Papa ist ja ganz alter Film- und Fernsehproduzent. Und sie ist schon als Kind mit dieser etwas verschrobenen und verrückten Welt in Verbindung gekommen. Seit Kindestagen kommt sie klar damit.
Welche Menschen haben Sieam meisten geprägt?
Mama und Papa waren die zentralen Personen in meinem Leben. Und bleiben es auch. Ich bin als Einzelkind großgeworden und hatte eine so unfassbar enge Verbindung zu meinen Eltern. Die starben ja ziemlich schnell hintereinander innerhalb von vier Monaten. Das war wirklich eine sehr schmerzhafte Zäsur in meinem Leben. Ich habe zuhause nicht ein einziges Bild meiner Eltern. Das würde mir wehtun. Ich brauche keine Bilder, denn ich habe sie so intensiv bei mir.
Was haben Sie von Ihrer Mutter?
Meine Mutter hatte ein sehr gutes Urteilungsvermögen im Umgang mit anderen Menschen. Ich glaube, das habe ich geerbt.
Wie zeigt sich das?
Ich denke, dass ich Menschen ganz gut einschätzen kann. Ich brauche nicht lange, um Menschen gut oder nicht so gut zu finden. Das ist so eine Sache, die habe ich in mir.
Sie sind ein Nachkomme des Schriftstellers Heinrich von Kleist...
Auch ich habe immer gern geschrieben, schon als Kind. Gedichte oder Kurzgeschichten. Die Schreibe war und ist für mich heutzutage immer noch ganz wichtig. Mitunter schreibe ich irgendetwas auf, was mich bewegt. Das liegt zwei, drei Tage rum und dann zerreiße ich es.
Schreiben Sie auch mal an Ihre Kinder?
Nein, meine ältesten Töchter Theresa und Lisa, die beide in Hamburg leben, rufe ich jeden Tag an. Dann sagen sie: „Papa, wir haben doch gestern telefoniert.“ Ich antworte: „Gestern ist gestern.“ „Aber Papa, lass’ dir doch ein paar Tage Zeit.“ Nein, das schaffe ich. Da bin ich so ein Klammerhaken.
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